Nach meiner langjährigen Erfahrung veranschaulicht der folgende Artikel von Prof. Dr. Gottfried Kiesow hervorragend die verschiedenen Schwerpunkte beim Denkmalschutz. Ich danke dem Primusverlag für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Patient Baudenkmal
Die konservierende Instandsetzung sollte so sorgfältig, schonend und gründlich wie möglich erfolgen, um die Zeitabstände zwischen durchgreifenden Restaurierungen so groß wie möglich zu gestalten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist ein sorgfältig geplantes Vorgehen, für das als Projektleiter ein auf dem Gebiet der Denkmalpflege erfahrener Architekt benötigt wird. Man kann ein instandsetzungsbedürftiges Baudenkmal durchaus mit einem kranken Menschen und die mit seiner Wiederherstellung beauftragten Architekten, Handwerker, Restauratoren und Denkmalpfleger mit Ärzten vergleichen. Kein Arzt würde bei seinem Patienten gleich mit der Therapie beginnen. Bei ihm kommt zuerst die Anamnese, das heißt, das Erforschen der Lebensgeschichte, insbesondere der Krankengeschichte des Patienten, Dann nimmt er die gründliche Untersuchung vor, und aus ihren Ergebnissen entwickelt er die Diagnose, die dann die Grundlage der erst jetzt einsetzenden Therapie bildet.
Auf die Instandsetzung von Kulturdenkmalen übertragen ergibt sich folgender Maßnahmekatalog:
Maßnahmekatalog
- Bestandsaufnahme: Genaue Erforschung des Baues, seiner Geschichte und Konstruktion; Erfassen und Aufmaß des Bestandes.
- Untersuchungen: Zielformulierungen für die Untersuchungen. Unterschiedsgebiete: Restauratorische, bauhistorische, archäologische statische, bauphysikalische und bauchemische Untersuchung, Heizung, Klima, Luft.
Untersuchungsmethoden:- ohne Eingriff in das Objekt.
- mit zerstörungsarmen Eingriffen in das Objekt, partiell und gezielt.
- Analyse u. Bewertung von Bestandsaufnahme und Untersuchungen.
- Planungs-und Maßnahmekonzept.
- Entwicklung von Alternativen
- Entscheidung
- Werkplanung
- Kostenrahmen
- Finanzierung
- Genehmigungsverfahren
- Ausschreibung und Vergabe
- Überwachung der Ausführung
- Abnahme und Abrechnung
- Dokumentation des Vorzustandes während der Maßnahme und zum Abschluss.
Weitere Voraussetzungen für die substanzschonende Instandsetzung von Kulturdenkmälern ist die Auswahl besonders qualifizierter Handwerker für die Ausführung. Das kann aber nicht funktionieren, wenn man – wie allgemein üblich – automatisch dem billigsten Bieter den Zuschlag erteilt.
Hier an der falschen Stelle sparen zu wollen, kann für den Auftraggeber teuer werden, denn dies geht auf Kosten der Qualität, so dass Folgeschäden unabwendbar sind. Sorgfältige Arbeiten erfordern nun einmal einen höheren Zeitaufwand, und Maschinen lassen sich bei Kulturdenkmalen nur begrenzt einsetzen. Da auch das zu verwendende Material nur eine eingeschränkte Rolle spielt, sind nun einmal die Lohnkosten der entscheidende Faktor. Wird der Auftragnehmer hier ungerechtfertigt beschnitten, zwingt man ihn geradezu zu Pfuscharbeit. Deshalb sollte man bei jedem Angebot sorgfältig das Verhältnis der Angebotssumme zum erforderlichen Zeitaufwand prüfen. Jedes Angebot kann nur so gut sein wie die Ausschreibung. Deshalb kommt es sehr darauf an, die geforderten Arbeitsgänge sehr detailliert zu beschreiben und nicht etwa die Restaurierung von soundsoviel Quadratmetern zu fordern, wie das leider in der täglichen Praxis immer noch geschieht. Es gibt immer noch zu wenige Architekten, die in der Lage sind, Arbeiten an Kulturdenkmalen richtig auszuschreiben. Dann können sie diese aber auch nicht überwachen und abrechnen, haben also nicht die erforderliche Qualifikation als Projektleiter.
Aus der Erfahrung, dass die fachgerechte Instandsetzung von Kulturdenkmalen einen hohen Zeitaufwand erfordert, geht hervor, dass man sie nicht unter Termindruck ausführen sollte, Die wichtigste Voraussetzung für eine möglichst weitgehende Erhaltung der Originalsubstanz eines Kulturdenkmals ist eine damit verträgliche Nutzung. In der Vergangenheit hat man allzu oft dem Baudenkmal die sich gerade anbietende, möglichst einträgliche Nutzung übergestülpt und es mit Gewalt dafür umgestaltet. Nach so vielen Verlusten muss die Denkmalpflege heute fordern, dass sich die Nutzung nach dem Denkmal zu richten hat und sich diesem anpassen muss.
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Gottfried Kiesow: Einführung in die Denkmalpflege,
Darmstadt 1995, Seite 123ff