Quo vadis, Denkmalpflege ?
Bereits um die Jahrhundertwende gab es Bemühungen zum Schutz historischer Bauten. Auch Berichte über Translozierungen/ Verschiebungen zum Erhalt alter Fachwerkhäuser sind bekannt. Erste Freilichtmuseen sind aus Skandinavien bekannt (1891 Skansen bei Stockholm, 1896 Kristiania bei Oslo). Das erste Freilichtmuseum in Deutschland – „Thüringer Bauernhäuser“ – wurde 1914/ 15 in Rudolstadt gegründet. Diverse weitere folgten in den 30er, 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts – z. B. Cloppenburg (1934), Kiekeberg (1953), Kommern (1958), Detmold (1960) und Schloss Gottorf (1958).
Einen großen Schub für die Erhaltung historischer Gebäude sollten die 1970er Jahre bringen. Viele Denkmalschutzgesetze datieren aus dieser Zeit, z. B. Baden-Württemberg (1972), Bayern und Hamburg (1973), Hessen (1974), Niedersachsen und Rheinland-Pfalz (1978). Die Gründung der IgB fällt ebenso in diese Zeit wie die Gründung des Nationalkomitees für Denkmalschutz (1973) und das „1. Europäische Denkmalschutzjahr“ (1975). Damals stand das Themenjahr unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“. Angeregt durch die seit 1984 in Frankreich erfolgreichen Veranstaltungen „Journées Portes ouvertes dans les monuments historiques“ wurden 1991 erstmals die „1. European Heritage Days“ ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für die Bedeutung des kulturellen Erbes zu sensibilisieren und Interesse für die Belange der Denkmalpflege zu wecken. 46 Länder beteiligten sich an dieser Aktion. Die Beliebtheit des seitdem jährlich stattfindenden „Tag des offenen Denkmals“ ist konstant und beachtlich. Viele alte Häuser – auch nicht unter Denkmalschutz stehende – wurden seitdem durch privates Engagement vorbildlich saniert und ihr Bestand dadurch zumindest für die nächsten Jahrzehnte gesichert.
Bei der Bevölkerung – zumindest bei größeren Teilen – haben diese Veranstaltungen also offensichtlich ihre positive Wirkung hinterlassen. Bei den Entscheidungsträgern in der Politik habe ich da häufig so meine Zweifel, ob die Bedeutung des kulturellen Erbes ebenso erkannt wurde. Fakt ist leider, dass seit vielen Jahren – zumindest in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt – die finanziellen Mittel für Zuschüsse und Stellen für in der Denkmalpflege tätige Mitarbeiter kontinuierlich gekürzt wurden und nach wie vor werden.
Die Zahlen sprechen mittlerweile eine deutliche Sprache: Im Bereich der staatlichen Denkmalpflege wird bis hin zur Funktionsunfähigkeit gespart. Hierbei geht es jedoch nicht um ein notwendiges Sparen, sondern dahinter steckt quer durch die Parteien eine politische Logik – die Schwächung der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes. Abgesehen von Sonntagsreden und der Unterstützung einiger Leuchtturmprojekte gibt es in keiner Partei ein eindeutiges Bekenntnis zum Denkmal – im Gegenteil. Immer häufiger ist zu beobachten, dass lokalen, regionalen und nationalen Spitzenvertretern aus der Politik die Nähe zu den sich über Geld und Macht definierenden Beutegemeinschaften der Abriss- und Neubau- Fraktionen lieber ist als die Nähe zur Kultur. Auf keinem Feld zeigt sich die Doppelbödigkeit, die Bigotterie und der Einfluss von Lobbyisten stärker als bei dem Kampf um die Bewahrung unseres kulturellen Erbes.
Die Denkmalpflege wird seitens der Politik quasi schleichend abgeschafft. Unter anderem zeigt sich das auch daran, dass die Landesämter ihre eigentlichen Aufgaben, z. B. Weiterbildung, Nachinventarisation, Forschung usw. zwischenzeitlich wegen personeller Unterbesetzung allenfalls noch rudimentär erfüllen können. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Änderungen der Denkmalschutzgesetze in vielen Bundesländern, in deren Zug wesentliche Verantwortlichkeiten von den Landesämtern auf die Kommunen und Landkreise übertragen wurden. Diese Form der „Dezentralisierung“ ist, vorsichtig formuliert, zweischneidig. Positiv ist – hier einmal auf Niedersachsen bezogen – dass die Untere Denkmalschutzbehörde in fachlicher Hinsicht nicht mehr Einvernehmen mit dem Landesamt herstellen muss, sondern völlig eigenständig entscheiden kann. Auf die damit verbundenen Gefahren hat die IgB bereits im Vorfeld der Novellierung von 2011 eindringlich hingewiesen.
In der Praxis zeigt sich nun, dass es zwar ein landesweit einheitlich zugrundeliegendes Denkmalschutzgesetz gibt, dieses jedoch in den einzelnen Kommunen und Landkreisen sehr individuell ausgelegt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass es keinerlei Mindestanforderungen hinsichtlich der fachlichen Qualifikation für die Besetzung der Unteren Denkmalschutzbehörde zu geben scheint, diese Stellen häufig nur Teilzeitstellen sind und die Mitarbeiter überwiegend auch noch mit anderen Tätigkeiten betraut sind, die Baudenkmale also nur „nebenbei“ mit betreut werden – so gut es eben geht.
Zu den systemischen und fachlichen Defiziten gesellen sich leider noch einige andere (Macht-) Phänomene: Die Denkmalpflege wird mitunter zu einem Spielball der Akteure polit-kommerzieller Interessen. Einem „unbequemen“ Mitarbeiter der staatlichen Denkmalpflege kann schnell einmal ein Karriereknick angedeutet werden, wenn er allzu sehr die finanziellen Interessen der Parteienspender stört. Die Folge sind neben den vielen anderen restriktiven Rahmenbedingungen zunehmende Resignation oder sogar Depression. Um an dieser Stelle nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt viele Untere Denkmalschutzbehörden, die trotzdem fachlich qualifiziert besetzt sind und vorbildliche, realitätsnahe Arbeit machen. Ob sie die hierfür erforderlichen guten Rahmenbedingungen vorfinden, hängt aber in erster Linie von ihrem Dienstherrn ab – also von den Bürgermeistern und Landräten. Positiven Einfluss hierauf könnte allenfalls das zuständige Ministerium ausüben, indem Mindestanforderungen hinsichtlich der Qualifikation und Ausstattung gestellt würden. Das tut das Ministerium aber bislang nicht. Das Landesamt selbst hat in dieser Hinsicht keinerlei Einflussmöglichkeiten und kann allenfalls regelmäßige Treffen der zugehörigen Denkmalpfleger zum fachlichen Austausch anbieten. Das reicht so nicht.
Das Land Niedersachsen zieht sich also seit geraumer Zeit immer weiter aus der Verantwortung zurück. Ehrenamtliches Engagement muss die entstehenden Lücken mehr und mehr schließen. Kräftiges Umrühren in den Zuständigkeiten und Gesetzen bringt wenig Substanzielles für die Denkmalpflege hervor – allenfalls Verunsicherung bei allen Beteiligten. Hilfreicher wäre die Förderung unmittelbarer Zuwendungen in Form von fachlicher Hilfestellung und finanzieller Unterstützung auf allen Ebenen. Hierbei sollte auch zwischen „fachlicher Hilfestellung“ und „Belehrung“ bzw. „ideologischer Drangsalierung“ unterschieden werden.
Wenn der politische Wille da ist, können alte Häuser gerettet und Leerstand abgewendet werden. Dies sollte grundsätzlich schon allein unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes erfolgen. Positive Entwicklungen wie in Hann. Münden (Weserbergland) zeigen, was dann im Zusammenspiel mit privaten Investoren möglich ist. Der Regelfall sieht aber eher anders aus. Investoren- und Lobbyinteressen können sich zu Lasten historischer Bausubstanz oft eher durchsetzen, sofern sich nicht freie bürgerliche Gruppen für die Erhaltung einzelner Objekte bis hin zu ganzen historischen Stadtkernen stark machen, z. B. Widerstand gegen Einkaufszentren in der Altstadt wie in Zittau.
Nun soll 2018 mit ECHY, dem „European Cultural Heritage Year“, der Blick – auch der Politiker – wieder mehr auf die Bedeutung der Denkmalpflege gelenkt werden. Das Europäische Kulturerbejahr soll „die gemeinsamen kulturellen Wurzeln Europas betonen“.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Politik dadurch bewegen lässt, den derzeitigen Abwärtstrend zu stoppen und umzukehren. Skepsis ist zwar angebracht – wir sollten aber weiter kämpfen.
In diesem Sinne,
herzlichst Ihr/ Euer Stefan Haar
[Der Holznagel 3 / 2017 3]